Wer hat euch gezwungen, hier zu sein. Knapp hundert Euro auszugeben, um in eine Richtung guckend zu erstarren. Wer hat euch beigebracht, dass man als Zweierbeziehung bei Musikbeschallung diese Position einnehmen muss:
Sie vorne, er dahinter. Seine Arme an ihren Hüften oder um ihren Bauch oder irgendwo in Brusthöhe. Vielleicht sein Kinn auf ihrem Kopf, sodass sie aussehen wie ein fleischiger, hautfarbener Marterpfahl. Ihre Arme irgendwo umständlich gefaltet zwischen oder auf seinen. Oder sie lässt die Arme hängen, das hat was von Zwangsjacke und Zwangsjacke hat ja eigentlich was von Geborgenheit.

Dies ist meine Person, sagen diese Arme. Ich habe sie hierher mitgebracht, damit wir so stehen können. Man berührt sich sonst nicht genug im Alltag, man muss das nachholen, am liebsten in großen Menschenansammlungen. Und jetzt machen wir es uns schön, jetzt schreien wir laut rum mit unserer Körperhaltung WIR SIND ZUSAMMEN UND MIT VIEL GLÜCK SPÄTER NOCH POPPEN.
Auf Konzerten hintereinanderstehen ist wie Kerzen aufstellen und Licht dimmen vorm Oralverkehr, wie aphrodisierende Romantik-Menüs auf Restaurantkarten, wie die Hand auf dem Knie bei der Kuss-Szene im Kino. Triefend prätentiös.
Niemand kann tanzen, wenn er von hinten fixiert wird.
Niemand kann hüpfen, wenn er gerade eine Hüfte festhält.
Höchstens bescheuertes hin und her schunkeln geht, oder dieses peinliche Mitgewippe aus dem Kniegelenk, das immer ein bisschen nach ADHS aussieht. So hässlich kann man Musik auch zuhause hören.
Deshalb stehen sie in Reih mit Glied dazwischen. Anderthalb Stunden hintereinanderstehen, das schaffen sonst nur Pendler_innen im Regionalexpress.
Es wäre doch logisch, nebeneinander zu stehen. Es wäre logisch, das Gesicht des anderen sehen zu wollen, sich-erblicken-können, bewegen und anschreien und springen. Es wäre logisch, sich des Lebens zu freuen.

Dieses fallschirm-tandemsprungmäßige Festgehalte ist nichts als ein Rückbleibsel des deutschen Urinstinkts, sich mit ernstem Blick strammstehend aufzureihen.
Bei den Klebe-Pärchen zuhause am Kühlschrank hängen Konzertkarten, mit scheiß Mallorca-Magneten fixiert, schau mal, weißt du noch, als wir bei Coldplay waren? Nein, weiß ich nicht mehr, aber wahrscheinlich habe ich dagestanden und dich von hinten gehalten und am Ende haben wir uns ins Auto gesetzt und Radio gehört und abends haben wir uns leise gefreut, dass wieder ein Tag vorbei ist, den wir miteinander verbringen mussten.
May 16, 2017
Freundliche Kommentare gescheh’n, ich habs geseh’n
Don’t read the comments. Sagen sie. Denn Kommentare werden nur von Wutbürgern geschrieben und von Arschlöchern. Kein Mensch, der denkt und fühlt, schreibt Kommentare.
So ein Quatsch, denke ich seit diesem Text. So ein Glück, dass ich die Kommentare gelesen habe. Nicht alle. Nicht die, die mit einer Beleidigung anfangen und mit Anweisungen enden. Nicht die, die meinen, meinen Schreibstil bewerten zu müssen oder mein Leben. Aber solche:
Bei solchen Kommentaren hatte ich Tränen in den Augen. Das heißt noch nicht viel, weil ich oft heule. Aber es bedeutet mir einiges.
JournalistInnen wollen unterhalten, aufregen, berühren. Und vielleicht muss man genau deshalb manchmal Kommentare lesen. Um nicht zu vergessen, wie das ist: berührt werden.
Ich habe Aufsätze per Mail bekommen voller Gefühle und Wut und Vorschläge, welche Partei ich denn nun wählen soll. Das ändert nichts, aber ich bewundere diese Menschen. Für ihren Idealismus und dafür, wie sehr sie verändern wollen.
Man muss sich entscheiden, wem man zuhört. Denen, die viele Ausrufezeichen setzen und den Text, um den es geht, nur halb lesen. Oder denen, die kommentieren, weil sie etwas zu sagen haben, das keine gequirlte Scheiße ist.
Ich hatte Angst, dass Hass zurückkommt. Was kam, war sehr viel Mist und sehr viel Freundlichkeit. Und jedes gute Wort wiegt dabei zehnmal mehr als eine unreflektierte Beleidigung.